Ich kette mich an den bundestag

Mein Herz klopft. Ich stehe in der Kuppel des Bundestags. Unter meinem Schal hab ich die Kette versteckt, die mich an den Bundestag kettet. Ich nicke meinen Freunden zu. Wir lassen unsere 10 Meter langen, durch die offizielle Sicherheitskontrolle mitgebrachten Banner runter rollen. Auf ihnen stehen Sprüche wie: Kinderwahlrecht jetzt oder Jugendrat mit Zukunftsveto. Ungläubige Augen blicken uns an. Doch wie ist es so weit gekommen?

Es ist so weit gekommen, weil ich keinen Bock mehr habe. Ich hab keinen Bock mehr jeden Freitag auf die Straße zu gehen und mir stundenlang Konzepte zu überlegen, wie Kinder und Jugendliche langfristig ein aktiver Teil unserer Demokratie werden können, um mir dann im besten Fall einen Schulterklopfer, im schlechtesten Fall aber einen abfälligen Kommentar anhören zu müssen. Nur weil ich jünger bin soll ich nach der Pfeife derer tanzen, die heute die Entscheidungen treffen, die Konsequenzen aber niemals erleben werden? Ich soll erst die Schule beenden, studieren und den Ernst des Lebens kennenlernen, um dann in unserer Demokratie mitzuentscheiden?

NEIN! Deshalb fordere ich mit der NGO Demokratische Stimme der Jugend, in der ich aktiv bin, ein Update der Demokratie. Erst vor hundert Jahren wurde den Frauen ihr Mitspracherecht an der Gesellschaft durch das Wahlrecht zugestanden. Nun ist es an der Zeit auch Kindern und Jugendlichen die Teilhabe an der Demokratie zu ermöglichen. Es kann nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch einer ganzen Generation, den unter 18-Jährigen, jegliche Form von gleichberechtigter Mitsprache entziehen. Der Generation, die in ein paar Jahrzehnten die Konsequenzen der heutigen, politischen Entscheidungen erleben wird.

Deswegen fordern wir ein Kinderwahlrecht und einen „Deutschen Jugendrat“. Der Jugendrat soll über Zukunftsthemen wie Verschuldung, Energiewende oder Rentenreformen mitentscheiden. Es soll aus allen Jugendlichen deutschlandweit zwischen 14 und 28 Jahren ausgelost werden, um somit auch „politikferne“ Schichten zu erreichen und politische Bildung mit aktiver Teilhabe zu verknüpfen.

Die Idee des Kinderwahlrechts: Kinder sollen ab dem Alter wählen dürfen, ab dem sie sich selbstständig ins Wähler*innenverzeichnis eintragen und selbst wählen wollen.

Ein Kinderwahlrecht, sind die jetzt völlig durchgeknallt? Soll jetzt auf einmal ein Säugling an die Urne krabbeln? Sind Kinder nicht viel zu leicht zu manipulieren und ungebildet? Sie verstehen doch die Tragweite der Entscheidungen gar nicht Typische Ängste, wenn man das Kinderwahlrecht erwähnt. Doch ich kann versichern: Diese Ängste sind leicht zu beseitigen. Denn: Wurden sie schon mal vor einer Wahl nach ihrer politischen Bildung oder ihrer Urteilsfähigkeit gefragt? Vermutlich nicht. Für über 18-Jährige sind solche Kriterien auch nicht Grundlage für die Ausübung des Wahlrechts, wieso sollten sie es also für Kinder und Jugendliche sein?

Das Wahlrecht ist das entscheidende Grundrecht in einer Demokratie. Um 13 Millionen Menschen ein essenzielles Grundrecht zu entziehen, braucht man ein besseres Argument als das möglicherweise fehlende Urteilsvermögen. Denn: laut Demokratieforscher Wolfgang Gründinger gibt es keine empirischen Beweise für eine starke Beeinflussung der Wahlentscheidung jüngerer Wähler durch ihre Eltern. Und sind wir Mal ganz ehrlich: Wenn Kinder auf die Straße gehen, aus Angst die Erwachsenen verspielen ihre Zukunft, wer ist dann unzurechnungsfähig, um Entscheidungen zu treffen?

Doch Sie haben Recht, ein Kinderwahlrecht wird nicht die Welt retten. Richtig umgesetzt aber ziemlich viel verändern. In Zeiten massiver politischer Einflussnahme bei Wahlen ist ein fundierter Politikunterricht unabdingbar. Wahlwerbung, ja das ganze politische System müsste für Kinder verständlicher erklärt werden. Kinder könnten viel früher ein aktiver Teil der Demokratie werden, Verantwortung übernehmen und vor allem würde es zu einem Umdenken zwischen den Generationen führen: Kinder wären gleichberechtigte Bürger dieses Staates.

Klar ist natürlich: um dort hin zu kommen, reicht ein Kinderwahlrecht allein nicht aus. Wir brauchen einen Jugendrat, der dem Bundestag auf die Finger schaut und ein Zukunftsveto, welches sicherstellt, dass Artikel 20a „Der Staat schützt in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ eingehalten wird. Stellt man sich beispielsweise vor, Deutschland beschließt einen Ausstieg aus der Kohle für 2038, welcher diesem Artikel eindeutig nicht entspricht, so kann der Jugendrat sagen: Stopp! Das betrifft unsere Zukunft so immens, dass wir diese Entscheidung nicht annehmen. Wir brauchen Erwachsene die ihren Kindern zuhören und Lehrer*innen, die in Schüler*innen keine Noten, sondern selbstständig denkende Menschen sehen. Wir brauchen Visionen für einen lebendigeren Austausch zwischen den Generationen und Kinder, die aufstehen und ihre Rechte einfordern.

Wir brauchen einen Aufstand der Jugend. Denn: wir sind die Jugend von heute und die Gesellschaft von morgen.